Mit einem großen Fest feierte Obolet sein neu gefundenes Glück und Araide wurde herzlich am Hofe aufgenommen. Viele edle Ritter unterwarfen sich ihr und gelobten, in ihrem Namen viele Heldentaten zu vollbringen.

Aber nicht jeder begegnete ihr mit solch tugendhaftem Ansinnen. Viele Ritter, welche am Hofe einen eher zweifelhaften Ruf genossen, wollten Araide nicht so dienen, wie es sich für einen Edelmann geziemt.

Vielmehr verlangte es ihnen danach, die Schöne ihr Eigen zu nennen. Ihre Fremdartigkeit und das Geheimnis, das sie umgab, veranlasste sogar einige böse Zungen dazu, zu behaupten, dass ihnen die Königinmutter eine Hexe gesandt hatte.

Als das Fest seinem Ende entgegenging, entschuldigten sich Obolet und Araide bei ihren Gästen und zogen sich in die Kemenate zurück. Bereits nach wenigen Tagen waren sie sich vollkommen vertraut, so als würden sie sich bereits ihr ganzes Leben lang kennen.

Araide gelang es, mit dem kleinsten Wort ihren Bruder aus der tiefsten Trübsal zu befreien, und lehrte ihn somit wieder Frohsinn zu empfinden. Dennoch machte die Not ihres Volkes das Herz der Geschwister schwer.

Da klopfte es. Obolet blickte zur Tür und gewährte Einlass, doch niemand öffnete sie. Erneutes Klopfen. Bevor der König erneut etwas rufen konnte, berührte seine Schwester leicht seine Hand und lenkte seinen Blick mit einem zarten Lächeln zu einem der Fenster.

Obolet staunte, als er bemerkte, dass das Klopfen nicht von der Tür herrührte, sondern von einer Eule, die sich auf einem Sims niedergelassen hatte.

"Es ist so weit: Du musst dich ihm offenbaren." Als die Eule zu sprechen begann, wäre Obolet fast aus seinem Sessel gefallen, hätte ihn seine Schwester nicht festgehalten. Sie ließ ihn los, nickte kurz dem Vogel zu und eilte davon.

Während Araides Abwesenheit begutachteten sich König und Eule. "Herr Eule, wie ist Euer werter Name und wie steht Ihr zu meiner Schwester?" fragte der König. "Ich bin Merlin, mehr brauchst du nicht zu wissen." Wären diese Worte nicht aus dem Mund eines Vogels gekommen, wäre Obolet sicher sehr zornig geworden. So überwog jedoch sein Staunen ob dieses magischen Tieres.

Araide betrat indes wieder das wohlig warme Zimmer. In ihren Händen trug sie eine edle Schatulle, welche aus Rotholz gefertigt war. Sie trat vor ihren Bruder und sank vor ihm auf die Knie. Mit ihren zarten weißen Händen öffnete sie das Kästchen und offenbarte seinen kostbaren Inhalt.

Auf einem Samtkissen lag ein Kronreif von atemberaubender Handwerkskunst. Eingelassen in das edle Geschmeide waren drei blutrote Rubine, von welchen ein geheimnisvolles Glühen ausging. Magisch angezogen streckte Obolet seine Finger danach aus. Erschrocken hielt ihn seine Schwester zurück.

"Nein!" heulte die Eule. "Nur der rechtmäßige Besitzer kann das Firinn berühren, ohne verzehrt zu werden!" Nachdem der König seine Hand erschrocken zurückgezogen hatte, entnahm Araide das Geschmeide aus der Schatulle.

Sie setzte es auf ihr von herbstlaubfarbenem Haar eingerahmtes Haupt. In magisches, rotes Licht wurde die Kemenate gehüllt, es ging aber nicht vom wärmespendenden Feuer im Kamin aus. Das Firinn, zu dessen Hüterin Araide auserwählt war, war die Quelle.

"Hör mich an, mein liebster Bruder. Deine tiefe Bedrängnis und dein Edelmut bewegen die Herzen vieler. Sei gewiss, das Wehklagen deines reinen Herzens wurde vernommen. Der weise Kalidex, Herrscher aller weißen Drachen selbst, war so bewegt, dass er seine Schülerin zu dir sandte, um dein Leiden zu beenden."

Das Firinn ward von Drachenmacht geschmiedet und mit den Kräften der Elemente verzaubert. In den Rubinen brennt das Feuer des Vulkans Thurongal und das filigrane Goldgeflecht vereint Erde und Wind. Schließlich wurde es in den Fluten des Meeres gehärtet, auf dass es nie entzweit werden möge.

"Mit seiner Hilfe werden wir die Feinde zurückschlagen. Dich bitte ich, mein Bruder, ein Leid möchte ich keinem dabei zufügen, ob Freund oder Feind. Also bitte mich nicht darum, denn ich könnte dir keine Bitte abschlagen."

Obolet legte zärtlich seine Hände um die ihren und sprach: "Liebste und edelmütige Schwester, nie würde ich von dir ein grausames Wort, gar eine grausame Tat verlangen. Wir wollen das Geschenk Kalidex' in Ehren halten und weise einsetzen."

Merlin nickte zufrieden und verschwand wieder durch das Fenster, durch das er gekommen war.