Das Vermächtnis der Nebel
Einst regierte Obolet über ein blühendes Königreich. Sein gerechtes Urteil und sein starker Schwertarm brachten ihm Ruhm und die Liebe seines Volkes.
Nur eine Person stand noch höher in der Gunst der Menschen: seine Halbschwester Araide. Sie war von solcher Anmut und Sanftheit, dass es kaum einen Ritter gab, welcher sich ihr nicht sogleich ohne jedes Zaudern unterwarf, um in ihrem Namen zu streiten. Mag man der Legende Glauben schenken, gab es nie eine Frau von reinerem Edelmut.
Noch heute liegt ihretwegen Wehmut in den Rufen der Greifen, aber vielleicht sollte ich meine Geschichte in früheren Zeiten beginnen lassen …
Kapitel 8 - Das Versprechen
Noch am selben Abend suchte Araide ihren Bruder auf. Jener saß mit Karinde in seiner Kemenate. Die ihr fremde Frau musterte sie mit kühlem und überheblichem Blick. Araide beschloss, Obolet später unter vier Augen zu dieser Dame zu befragen.
"Liebster Bruder, ich komme heute Abend mit einer Bitte zu dir. Es gibt da einen edlen Ritter, dem mein Herz gehört. Ich bitte dich um deinen Segen."
Kurz verzog Obolet das Gesicht vor Schmerzen und hielt sich die Seite, doch bevor Araide zu ihm gelangte, hatte ihn bereits die andere Frau schützend in ihre Arme genommen.
"Schwester", sprach er schwer atmend, "es freut mich, dass wir den selben Wunsch teilen. Unrecht haben wir Hadrian und seiner Familie angetan, als wir ihn vom Hofe verbannten. Nun werden wir dies in doppelter Weise vergelten und unsere Familien auf ewig zusammenschmieden.
Ich habe seiner liebreizenden Kusine Karinde bereits versichert, dass er deine Hand erhalten wird und sie selbst werde ich zu meiner Frau machen."
Bittere Tränen benetzten Araides Wangen und sie flehte ihren Bruder an einzulenken, aber diesmal bewegten ihre Worte sein Herz nicht.
Mit einem falschen Lächeln schickte die künftige Königin sie in ihre Gemächer, wo sie Trauer und Schmerz überwältigten.