Das Vermächtnis der Nebel
Einst regierte Obolet über ein blühendes Königreich. Sein gerechtes Urteil und sein starker Schwertarm brachten ihm Ruhm und die Liebe seines Volkes.
Nur eine Person stand noch höher in der Gunst der Menschen: seine Halbschwester Araide. Sie war von solcher Anmut und Sanftheit, dass es kaum einen Ritter gab, welcher sich ihr nicht sogleich ohne jedes Zaudern unterwarf, um in ihrem Namen zu streiten. Mag man der Legende Glauben schenken, gab es nie eine Frau von reinerem Edelmut.
Noch heute liegt ihretwegen Wehmut in den Rufen der Greifen, aber vielleicht sollte ich meine Geschichte in früheren Zeiten beginnen lassen …
Kapitel 10 - Die Hochzeit
Ein Fest von verschwenderischer Pracht sollte sowohl Obolet und Karinde als auch Araide und Hadrian auf ewig miteinander verbinden. Auf Samtkissen lagen das Firinn und eine zweite prachtvolle Krone für die beiden Edeldamen bereit.
Karinde hatte sich das weiße Einhornhaar in das ihre eingeflochten, welches nun weit über ihre Hüften herabfiel. Aus dem Meerjungfrauenblut hatte sie nach Merlins Rezept eine Tinktur abgemischt, mit welcher sie dann ihre Haut bestrichen hatte.
Viele Ritter und Edeldamen wohnten der Zeremonie bei. Zuerst sprach Obolet seinen Segen über seine Schwester und Hadrian. Araides stille Tränen blieben ihm verborgen. Dann drehte er sich zu den beiden Kronen um.
Aber anstatt dem Firinn ergriff er das andere Diadem und setzte es auf Araides Haupt. Fassungsloses Raunen ging durch Obolets Hofstaat.
Nun schwuren sich er und Karinde die Treue. Als jene nun selbst nach dem Firinn griff, wollte Araide, welche trotz des großen Leides, das ihr zugefügt wurde, keinem Menschen Unheil wünschte, Karinde aufhalten, aber Hadrian hielt sie zurück.
Als Karinde das Firinn, ohne Schaden zu nehmen, auf ihr Haupt gesetzt hatte, erlosch die letzte Hoffnung. Ihr geiferndes Lachen hallte durch den Saal und wiederum lauschte ihm Obolet in Verzückung, so als wäre es das lieblichste, was er je vernommen.
Während Karindes und Hadrians Gefolge ein rauschendes und ausschweifendes Gelage zu Ehren der Brautpaare feierten, waren die Ritter und Edeldamen Obolets schweigsam und innerlich hin und her gerissen. Araide und Fenhold tauschten geheime Blicke aus, welche jedoch immer wieder von Hadrians rüden Händen unterbrochen wurden.
Jener hatte sich bereits, als der Abend noch jung war, mit einer großen Menge gewürzten Wein alle Sinne gründlich betäubt und brüstete sich vor versammeltem Hofe mit seinen Mannestaten, welche er gedachte, nachts Araide zuteilwerden zu lassen.
Hierbei begann er, mit seinem Schwert wild über dem Kopf seiner schönen Ehefrau herumzufuchteln, so dass dieser angst und bang wurde. Es geschah, was geschehen musste, Hadrian vom roten Schwert verlor seinen Halt und stürzte.
Hierbei trennte er seiner Kusine Karinde den Zopf vom Haupt. Entsetzt blickte jene zu, wie mit ihrem eigenen Haar auch das des Einhorns zu Boden fiel.
Karinde begann sich vor Schmerzen zu winden und zu schreien. Als sie zu Boden stürzte, verwandelte sich ihr ganzer Leib zu Asche und zerstob, als er den Marmor berührte. Das Firinn sprang klirrend davon und kam vor Araides Füßen zum liegen.
Stille legte sich über den Saal.
Araide blickte erst zu Fenhold und dann zu ihrem Bruder. Jener blinzelte sich den Zauber aus den Augen. Anklagend zeigte er auf Hadrian: "Meine Schwester hat mir guten Rat erteilt, dich von meinem Hofe zu verbannen. Du und deine Familie sind von üblem Geschlecht! Diesen Verrat sollt ihr mir büßen!"
Da stürzten sich die Ritter aufeinander und ein wilder Kampf entbrannte. Fenhold eilte zu Araide, welche das Firinn gerade in einem ihrer Ärmel verborgen hatte. Obolet hieß ihn an, seine Schwester mit seinem Leben zu schützen, welches jener bereitwillig annahm. Er ergriff ihre Hand, um sie in Sicherheit zu bringen. Hadrian erblickte die beiden gerade noch, als sie aus dem Saal hinaus eilten und nahm die Verfolgung auf.
Obolet selbst lieferte sich einen erbitterten Zweikampf gegen Ferax vom roten Schwert, während immer mehr Ritter und Soldaten herbeiströmten und ihre Waffen gegeneinander richteten.
Beide Seiten hatten starke Verluste zu beklagen. So gab auch Enneleyn die Heldenmütige ihr Leben, als sie ihren König vor einem ehrlosen Dolchstoß von Goderon rettete. Beide brachten sich gegenseitige eine tödliche Wunde zu. In dieser Nacht verloren viele edle und ebenso viele düstere Ritter ihr Leben und viele Edeldamen wurden ihres Glückes beraubt.
Nur knapp gelang es Obolets Streitern, die dunkle Meute aus dem Schloss und somit zum Rückzug zu drängen. Ferax sah sich schließlich einer Übermacht gegenüber und ließ ab von Obolet, doch Kabed der Fels stellte sich ihm in den Weg, als er fliehen wollte.
Dies war jedoch ein Fehler, denn zu der Verwunderung aller gelang es Ferax, mit einem heimtückischen Angriff Kabed zu verletzen, und das Lindwurmblut mit dem die Klinge vergiftet war tat den Rest.
Ferax war somit der erste, der es schaffte, Kabed zu Fall zu bringen und auch der letzte, denn der vergiftete Ritter starb noch in derselben Nacht, in den Armen seiner Frau Hosande.